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Personalwesen Ex Machina

Ein Beitrag von

 

Alexander Stade

 

Haufe

IMMOBILIENWIRTSCHAFT

Dezember 2024

 

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ wird schon heute im Personalwesen genutzt – etwa um Talente zu erkennen und Schichtpläne zu erstellen.
In Zukunft könnte sie sogar Karrieren bestimmen. Oder vorhersagen, wer das Zeug hat, Chef zu werden. Ein faszinierender Blick in eine neue Ära der Personalentwicklung.

1 Titelbild des Fachmagazins IMMOBILIENWIRTSCHAFT der Haufe Group
Personalwesen Ex Machina
2 KI im Personalwesen: Fachbeitrag von Alexander Stade ab Seite 52 - IMMOBILIENWIRTSCHAFT
Artikel Immofolia Immobilienwirtschaft-2
3  KI im Personalwesen: Fortsetzung Fachbeitrag von Alexander Stade ab Seite 52 - IMMOBILIENWIRTSCHAFT
Artikel Immofolia Immobilienwirtschaft-3
4 KI im Personalwesen: Fortsetzung Fachbeitrag von Alexander Stade ab Seite 52 - IMMOBILIENWIRTSCHAFT
Artikel Immofolia Immobilienwirtschaft-4
5 KI im Personalwesen: Fortsetzung Fachbeitrag von Alexander Stade ab Seite 52 - IMMOBILIENWIRTSCHAFT

 

Laut dem Artificial Intelligence Report 2023 von Ernst & Young verwendeten europaweit nur sieben Prozent der  Unternehmen Künstliche Intelligenz (KI) im HR-Bereich. In diesem Jahr hat der Einsatz jedoch einen Schub erhalten, vor allem in Recruiting- Agenturen. Dennoch bleibt der ganz große Durchbruch im Personalwesen der Immobilienbranche und anderer Wirtschaftszweige bislang noch aus. Noch. Es ist nur eine Frage der Zeit.

 

Aktuelle Einsatzbereiche: Recruiting und Schichtplan

Erst einmal aber ein Blick ins Hier und Jetzt: Noch herrscht die „Angst“ vor der Fehleranfälligkeit der KI. Bewerbende könnten sie erkennen und die Qualität des Unternehmens durch falsche Ansprachen oder Texte mit verfehltem Inhalt in Frage gestellt werden. Die Zurückhaltung in der Branche rührt also nicht aus einem Mangel an Technologie, sondern aus der Komplexität der HR-Aufgaben, die neben datenbasierten Prozessen auch menschliche Intuition erfordern. Daher beschränkt sich KI-Anwendung bislang auf die Automatisierung von sich wiederholenden Prozessen. Viele Unternehmen nutzen diese KI etwa, um den Aufwand für administrative Aufgaben zu reduzieren und die Effizienz in der Personalabteilung zu steigern. Laut einer globalen Studie von Workday glauben gar 99 Prozent der Entscheidungsträger, dass Investitionen in KI geschäftliche Vorteile bringen. Zu den häufigsten Gründen zählen verbesserte Entscheidungsfindung (41 Prozent), die Automatisierung von Geschäftsprozessen (35 Prozent) sowie eine gesteigerte Mitarbeiterbindung und -erfahrung (32 Prozent).

Ein klassischer Einsatzbereich für KI ist die Personaleinsatzplanung, wo Systeme bereits komplexe Schichtpläne erstellen. Hier werden verschiedene Kriterien berücksichtigt, wie gesetzliche Vorschriften, individuelle Präferenzen der Mitarbeitenden und die betriebliche Auslastung, um faire und effiziente Schichtmodelle zu entwickeln. Der Mehrwert zeigt sich in einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit, ist in der Immobilienwirtschaft meist aber höchstens im Bauträgergeschäft relevant.

Ein weiteres etabliertes Anwendungsgebiet im HR-Bereich ist das automatisierte Screening von Bewerbungen. Diese Systeme analysieren eingehende Lebensläufe auf Qualifikationen und Erfahrung, filtern unpassende Bewerbungen heraus und erstellen eine Vorauswahl der Kandidatinnen und Kandidaten, die am besten zu den Anforderungen der ausgeschriebenen Position passen. Vor allem in den USA hat sich diese Praxis etabliert, weil sie Unternehmen ermöglicht, große Bewerbermengen effizient zu bewältigen.

Ein drittes wichtiges Einsatzfeld von KI im HR-Bereich ist die Optimierung von Stellenanzeigen. Durch die Analyse von Sprachmustern und Strukturvorgaben kann KI sicherstellen, dass Stellenanzeigen zielgerichtet und inklusiv formuliert werden. So werden eine breitere, diversere Zielgruppe angesprochen, unbewusste Vorurteile minimiert und dadurch Chancengleichheit gefördert. Auch bei der Suche nach hochqualifizierten Bewerbern hilft die KI-getriebene Datenanalyse. So sehen laut Deloitte- Studie 71 Prozent der Unternehmen People Analytics und Text
Mining als Schlüsselinstrumente.

Ein zunehmend wichtiger Bereich ist die Unterstützung der Mitarbeitenden durch maßgeschneiderte Lern- und Entwicklungspfade. Anstelle allgemeiner Weiterbildungsangebote ermöglichen KI-gestützte Tools die Entwicklung von Lernangeboten, die exakt auf die Bedürfnisse und Ziele der einzelnen Mitarbeitenden abgestimmt sind.

 

Mitarbeiterbindung: KI als Glücklichmacher

Ein besonders innovativer Ansatz ist der Einsatz von KI in der Mitarbeiterkommunikation und -bindung, etwa mit Chatbots und intelligenten Feedback-Systemen. KI-gestützte Chatbots können einfache Anfragen rund um die Uhr beantworten und Mitarbeitenden den Zugang zu Informationen erleichtern, ohne dass sie auf die Verfügbarkeit von HR-Mitarbeitenden angewiesen sind. Gerade im Onboarding-Prozess ein Riesenvorteil. Darüber hinaus kann KI durch kontinuierliche Sentiment-Analysen und die intelligente Auswertung von Mitarbeiter- Feedback frühzeitig Probleme identifizieren und gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsatmosphäre vorschlagen. Neben der Kommunikation spielt KI auch eine zentrale Rolle im strategischen Talent Management und in der Leistungsbewertung. Durch die Analyse von Leistungsdaten und sozialen Interaktionen innerhalb des Unternehmens können Muster erkannt werden, die auf zukünftige Fluktuationsrisiken hinweisen. Dies erlaubt es,
präventive Maßnahmen zu ergreifen und die Mitarbeiterbindung langfristig zu sichern. Deloittefand heraus, dass Unternehmen, die People Analytics und datenbasierte HR-Strategien nutzen, im Durchschnitt eine um 30 Prozent höhere Aktienrendite erzielen als ihre Wettbewerber. Trotz erster Erfolge ist der Einsatz von KI im HR-Bereich längst nicht ausgeschöpft. Daher wundert es nicht, dass viele Unternehmen sich zunehmend unter Druck gesetzt sehen, ihre Investitionen in KI und maschinelles Lernen zu erhöhen, um die Mitarbeitererfahrung nachhaltig zu verbessern. Denn neben den genannten Anwendungsbeispielen im administrativen Bereich liegt ein großes Potenzial in der strategischen Neuausrichtung von HR-Prozessen und der Maximierung des Mitarbeiterwerts.

 

Immofolia

"PERFECT MATCH Während KI Prozesse optimiert, bleibt der Mensch erste Option für Kreativität, Empathie und komplexe Entscheidungen"

 

Wenn KI Karrierewege vorzeichnet

Insbesondere im Bereich der strategischen Talententwicklung bietet KI Chancen, die weit über das hinausgehen, was heute in der Praxis realisiert wird. Die Einbindung von Predictive Analytics zur Identifikation von zukünftigen Führungskräften, zur Prognose von Karriereverläufen und zur dynamischen Gestaltung von Kompetenzmodellen könnte Unternehmen dabei unterstützen, Talente gezielt zu fördern und langfristig zu binden. Diese tiefgreifenden Analysen könnten künftig die Grundlage für eine datengetriebene Personalstrategie bilden.

Ein zentraler Aspekt ist dabei die Prognose des „Cultural Fit“ und die Identifikation des idealen Karrierepfads für Mitarbeitende. Mithilfe von Predictive Analytics können historische Daten aus früheren Rekrutierungsprozessen genutzt werden, um Muster zu erkennen, die auf eine hohe Übereinstimmung zwischen einem Kandidaten und der Unternehmenskultur hinweisen. Diese Technologien analysieren nicht nur fachliche Qualifikationen, sondern beziehen auch Faktoren wie soziale Interaktionen, berufliche Interessen und sogar Sprachmuster in ihre Prognosen mit ein. Dies kann Unternehmen helfen, Mitarbeitende nicht nur basierend auf aktuellen Anforderungen auszuwählen, sondern auch darauf, wie sie sich langfristig entwickeln und in die Unternehmensstrategie integrieren könnten.

Als Anwendungsbereich vielversprechend ist außerdem die Integration in die strategische Teamzusammenstellung und Innovationsförderung. Hier können KI-Systeme durch die Analyse der internen Kommunikationsmuster und der Projektverläufe Rückschlüsse darauf ziehen, welche Mitarbeitenden besonders gut zusammenarbeiten und welche Teamkonstellationen das größte Innovationspotenzial bieten.

72 Prozent der Firmen im DACH-Raum sehen KI in der Personalentwicklung als einen der wichtigsten Trends für die nächsten drei bis fünf Jahre

 

 

Darüber hinaus könnte KI auch in Video-Interviews neue Maßstäbe setzen. KI-gestützte Tools analysieren Videoaufnahmen und identifizieren subtile nonverbale Hinweise wie Mimik, Gestik und Stimmmodulation, um die Eignung eines Bewerbers noch umfassender zu beurteilen. Diese Technologie kann vor allem in frühen Phasen des Auswahlprozesses genutzt werden, um die Zahl der vielversprechendsten Kandidatinnen und Kandidaten schneller zu reduzieren.

Bei all dem beeindruckenden Potenzial von KI gibt es einen entscheidenden Faktor, der darüber bestimmt, ob Unternehmen die Vorteile tatsächlich voll ausschöpfen können: die zielgerichtete Implementierung. Viele Unternehmen befinden sich noch in einer Experimentierphase, in der Technologien getestet, jedoch nicht strategisch in bestehende HR-Prozesse integriert werden. Ohnehin ist es noch nicht ratsam, sofort in alle verfügbaren KI-Lösungen zu investieren. Eine schrittweise Einführung, die die Grenzen und Risiken im Blick
behält, ist eher der richtige Weg.

 

Gründer von Immofolia: René Wolter-Pecksen und Alexander Stade

"IMMOFOLIA - GRÜNDER Alexander Stade (rechts) und René Wolter-Pecksen sind auch Geschäftsführer des Unternehmens"

Künstliche Intelligenz kann vieles, nur nicht menscheln

Denn auch wenn KI im Personalwesen zahlreiche Vorteile bietet, gibt es wichtige Aufgabenbereiche, in denen der Einsatz von KI mit Vorsicht betrachtet werden sollte. Diese Grenzen sind vor allem dort zu beachten, wo menschliche Feinheiten, komplexe soziale Interaktionen oder ethische Fragen eine zentrale Rolle spielen. Insbesondere bei Feedback- und Konfliktgesprächen oder sensiblen Leistungsbeurteilungen ist die menschliche Komponente entscheidend. KI-Systeme können zwar Mimik und Sprache analysieren, jedoch fehlt ihnen das Verständnis für emotionale Feinheiten und den sozialen Kontext.

Die algorithmische Voreingenommenheit darf ebenfalls nicht unterschätzt werden. Der berühmte Fall von Amazon, dessen KITool weibliche Bewerber systematisch benachteiligte, verdeutlicht die Gefahr: Selbst kleinste Verzerrungen in den Trainingsdaten können zu diskriminierenden Entscheidungen führen. Daher sollten in Bereichen wie Recruiting und Beförderungsplanung menschliche Experten weiterhin involviert sein. Besondere Vorsicht ist außerdem in Bereichen geboten, die vom EU AI Act reguliert werden, wie etwa bei Karriereentscheidungen oder Leistungsbewertungen. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Systeme transparent und fair sind, um rechtliche Risiken zu vermeiden. Hinzu kommt, dass unsaubere oder unvollständige Daten zu fehlerhaften Entscheidungen führen können, weshalb KI nur dann eingesetzt werden sollte, wenn die Datenbasis umfassend und qualitativ hochwertig ist.

 

Der Fall von Amazon, dessen KI-Tool weibliche Bewerber systematisch benachteiligte, verdeutlicht die Gefahr beim Einsatz von KI

 

 

 

 

KI in Führungsprozessen

Ein alles entscheidender Faktor ist also die Datengrundlage, auf der KI-Entscheidungen basieren. Wenn die Daten unsauber, veraltet oder unvollständig sind, kann dies zu falschen Ergebnissen und damit zu fehlerhaften Entscheidungen führen. Ein Beispiel hierfür wäre die Implementierung von KI zur automatisierten Bewerberauswahl, bei der die eingehenden Lebensläufe auf Basis unzureichender oder unvollständiger Datensätze analysiert werden. Dies kann nicht nur dazu führen, dass qualifizierte Kandidaten abgelehnt werden, sondern auch dazu, dass die KI durch falsche Rückmeldungen „lernt“ und langfristig immer unzuverlässigere Empfehlungen gibt.

Besonders heikel ist der KI-Einsatz in Führungs- und Entscheidungsprozessen. Laut dem aktuellen HR-Report von Hays und IBE kann KI zwar Führungskräfte von Routine- (45 Prozent) und Kontrollaufgaben (36 Prozent) entlasten, doch in Bereichen, in denen es darum geht, den Menschen hinter den Zahlen zu sehen, sollten Führungskräfte selbst die Entscheidungen treffen. 34 Prozent der befragten Führungskräfte priorisieren den Faktor Mensch, statt sich auf KI-gestützte Entscheidungsprozesse zu verlassen.

Ohne Frage, KI bietet im Personalwesen erhebliches Potenzial. Sie sollte aber gezielt dort eingesetzt werden, wo ihre Stärken voll zur Geltung kommen: in datenbasierten Prozessen, die auf klaren, objektiven Informationen beruhen. Vor allem Aufgaben wie Gehaltsabrechnungen, Controlling oder das Erstellen von Schichtplänen sind ideale Einsatzfelder, da hier große Datenmengen verarbeitet und Entscheidungen auf Basis fester Kriterien getroffen werden können. Es sollten auch nur die Bereiche bevorzugt werden, in denen die Datenbasis vollständig
und korrekt ist, um Fehlentscheidungen zu vermeiden. In solchen Fällen kann KI auch in Bereichen wie Mitarbeiterbefragungen oder der Analyse von Mitarbeiterzufriedenheitstrends wertvolle Muster und Handlungsempfehlungen generieren. In der Mitarbeiterbewertung oder dem Recruiting, bei denen menschliche Verhaltensweisen und Emotionen eine zentrale Rolle spielen, sollte der Einsatz von KI mit Vorsicht erfolgen.

 

Drei Fragen an Tjark Heidbreder

Herr Heidbreder, welche Personalaufgaben könnten durch KI verbessert werden, und welche bleiben menschlich?
Wir nutzen KI unterstützend, zum Beispiel für die zentrale Veröffentlichung von Stellenausschreibungen. Beim Active Sourcing, also dem persönlichen Anschreiben auf LinkedIn, erzielen wir jedoch bessere Ergebnisse. Der direkte Draht ist hier entscheidend; ein KI-Eingriff könnte zu Reibungsverlusten führen, was im Fachkräftemangel ungünstig wäre. Sinnvoll ist KI hingegen in der Mitarbeiterentwicklung, z.B. bei der Identifikation von Weiterbildungsmaßnahmen oder in der Zeiterfassung.

Wie sehen Sie die langfristigen Auswirkungen von KI auf Arbeitsplätze im Personalwesen der Immobilienwirtschaft?
Die Branche steht vor dem Fachkräftemangel, aber auch vor Chancen durch Innovation und digitale Geschäftsprozesse. Als Verwalter sehen wir die größte Chance in der Entlastung durch KI, vor allem in
der Reduktion administrativer Aufgaben, um mehr Zeit für den direkten Kundenkontakt zu gewinnen. Die dynamischen Veränderungen in Regularien bieten hier großes Potenzial.

Gab es ein Beispiel, bei dem KI in Ihrem Unternehmen gescheitert ist?
Der KI-Einsatz hat in vielen Bereichen entlastet, aber die Softwares sind noch
nicht so weit, dass spürbare Effekte auf die Arbeitsentlastung erzielt werden. KI-Anrufbeantworter führen zu Frust, da die persönliche Erreichbarkeit fehlt. Kunden möchten den direkten Draht zum Objektbetreuer, den KI nicht ersetzen kann. Der Microsoft Co-Pilot hilft allenfalls bei Textanpassungen. Und unsere Tests mit automatisierter Social-Media-Bewerberansprache erzielten im Vergleich zur persönlichen Ansprache eine geringe
Reaktionsrate. KI ist eben noch eine junge Technologie mit viel Potenzial.